„Traut euch, euch verständlich auszudrücken!“
Frau Schäfer, in der Wissenschaftskommunikation geht es oft um die Frage: Wie können fachliche Inhalte sinnvoll reduziert werden, um sie für alle verständlich zu machen? Helfen Sie uns bei der Antwort?
Ich finde allein das Wort reduzieren in dem Kontext schon schwierig. Das impliziert, dass ein Inhalt verliert, wenn ich ihn in eine allgemein verständliche Sprache übertrage. Wenn Wissenschaftler oder Politiker es aber schaffen, ihre Inhalte auch in Alltagssprache zu vermitteln, dann ist das kein Verlust. Nehmen wir als Beispiel ein neues Medikament, dessen Überlegenheit dargestellt werden soll. Ich muss hier nicht alles bis ins kleinste, molekulare Teilchen erklären. Aber ich kann den Wirkmechanismus so erklären, dass möglichst viele Menschen ihn verstehen.
Aber gibt es überhaupt so etwas wie die eine Alltagssprache, in die man übersetzen kann?
Wir alle bewegen uns jederzeit in unterschiedlichen Sprachwelten. Das hat nicht zwangsläufig mit Wissenschaft zu tun. Auch Handwerker, Sportler oder soziale Gruppen wie Jugendliche bedienen sich einer eigenen Fach- oder Milieusprache. Ob sich nun ein Laie mit einem Wissenschaftler unterhält, oder Menschen auf einer Party – sie nutzen in verschieden Situationen andere Sprachen. In der Wissenschaft ist es so, dass sich hinter bestimmten Formulierungen oft unterschiedliche Gedankenwelten und manchmal ganze Gedankenschulen verbergen. Fachleute unter sich wissen dann sofort, was gemeint ist. Aber Menschen, die sich außerhalb dieser Welt bewegen, können das nur schwer oder gar nicht verstehen. Wichtig ist, dass das nicht heißt, einfache Lösungen zu komplizierten Problemen zu liefern, sondern Inhalte zu erklären. Sich verständlich auszudrücken ist deshalb eine höchst demokratische Haltung.
Wie überwinden Sie in einer Rede die Grenze von Fach- zu allgemein verständlicher Sprache?
Oft muss ich Wissenschaftlern die Angst nehmen, zu wenig intellektuell oder wissenschaftlich zu wirken. Da kann ich nur sagen: Traut euch, euch verständlich auszudrücken. Wenn ich für einen Wissenschaftler eine Rede gegenüber einem nicht wissenschaftlichen Publikum schreibe, arbeite ich mit dem Redner erst mal die Kernbotschaften heraus. Was sind für ihn die wichtigsten Inhalte, die er vermitteln möchte? Im Gespräch biete ich ihm bereits erste allgemein verständliche Formulierungen oder Metaphern an. Dies dient zum einen dazu, Verständnisfragen zwischen mir und dem Redner abzuklären. Zum anderen erhält der Redner einen Eindruck davon, wie es klingen könnte. Er kann dann sofort reagieren und wir können gemeinsam an einer Sprache arbeiten, die zu ihm passt.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Kommen wir noch einmal auf das Thema Medikamente zurück. In der Pharmazie gibt es Angiogenesehemmer. Da kann ich wissenschaftlich erklären, wie die molekulare Struktur dieses Medikaments aussieht und was sie bewirkt. Aber ich kann das auch übertragen, indem ich sage: Das Medikament funktioniert nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Es dockt am Tumor an und verschließt ihn. So kann der Tumor nicht mehr mit Nährstoffen versorgt werden und wird ausgehungert. Da nutze ich also bildliche Sprache wie Schlüssel und Schloss oder das Aushungern. Damit kann ich zum Beispiel gegenüber Nichtfachleuten argumentieren, die darüber mitentscheiden, ob ein solches Präparat von den Krankenkassen erstattet wird. Je nachdem, was das Ziel der Veranstalter ist. Im Anschluss kann ich dann erklären, dass das Medikament eine gute Wahl ist, weil es nur auf die Tumorzellen einwirkt und gesunde Zellen nicht beeinträchtigt – also wenige Nebenwirkungen hat.
Sie nennen Redner, Publikum und Veranstalter als Variablen einer Rede. Wie recherchieren sie, um den Inhalt darauf abzustimmen?
Ich versuche zuerst mit dem Redner zu sprechen, auch über persönliche Dinge, um die Person zu verstehen. Ich musste einmal eine Rede für eine Weintaufe schreiben. Dafür habe ich zunächst zwei Stunden mit dem Redner telefoniert, der mal Architektur studiert hatte, nun aber etwas ganz anderes macht. Also habe ich gefragt: „Wenn der Wein ein Haus wäre, wie würde es aussehen?“ Das fand er zwar erst komisch, aber dann ließ er sich darauf ein und seiner Fantasie freien Lauf. So konnte ich nicht nur in seine Gedankenwelt eintauchen, sondern mir auch ein Bild von seinem Sprachstil machen. Natürlich muss man auch immer an das Amt denken, das ein Redner repräsentiert. Mit dem Amt ist auch immer eine Erwartungshaltung des Publikums verbunden und das Publikum spielt ohnehin eine zentrale Rolle. Ich spreche deshalb auch mit den Veranstaltern und erfrage, wie sich das Publikum zusammensetzt, welche Fachkenntnis es hat, wie der Veranstaltungsort gestaltet ist und so weiter. Außerdem interessiert mich der Grund, aus dem mein Redner eingeladen wurde. Möchte man ihn als Amtsperson haben? Oder wegen der fachlichen Kompetenz? Soll es eine Motivationsrede sein, wie die Ruck-Rede von Roman Herzog? Die Fragen sind also: Was will der Redner und was will der Veranstalter erreichen? Was soll und will das Publikum hören? Und gibt es noch andere Menschen auf dem Podium?
Wie reagieren Wissenschaftler dann auf die fertige Rede?
Das ist ganz unterschiedlich. Manche merken an, dass das Bild so nicht ganz stimmt, also fachlich nicht ganz korrekt ist. Aber das ist in dem Moment nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass das Prinzip und der Inhalt vom Publikum verstanden werden. In gewissen Zirkeln habe ich allerdings den Eindruck, dass sie gar nicht verstanden werden wollen. Da herrscht ein Standesdünkel vor oder Angst, dass die Fachkollegen einen nicht ernst nehmen, wenn man sein Thema in alltäglicher Sprache präsentiert. Dann aber fragen mich diese Leute oft, warum nun Kollege XY schon wieder in eine Talkshow eingeladen wurde und man selbst nicht. Und da ist oft der Grund, dass dieser Kollege Sachverhalte so erklären kann, dass Lieschen Müller sie auch versteht. Deshalb laden ihn die Medien gerne ein.
Warum braucht es überhaupt einen Sprachtransfer? Welche gesellschaftliche Relevanz hat er?
Immer wenn Fachsprache verwendet wird, findet eine Abgrenzung von Eliten gegenüber anderen Menschen statt. Wir haben Kommunikationsmechanismen entwickelt, bei denen Menschen zunehmend in ihrer eigenen Blase bleiben. Gerade in der Wissenschaft ist das aber problematisch, denn Forschung ist wichtig für alle und benötigt breite Akzeptanz. Ich muss sie erklären und kann mich nicht ausschließlich auf Fachartikel konzentrieren, die nur ein Promille der Bevölkerung versteht. Auch kritische Fragen werden zu wenig aufgenommen. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass man über ihren Kopf hinwegredet, entsteht auch das Gefühl, dass sie nicht mehr gehört werden. Wenn sich ein solches Gefühl verstetigt, dann zerbricht die Gesellschaft und es entsteht Misstrauen gegenüber den Eliten aus Politik oder Wissenschaft. Verständliche Sprache ist ein wichtiges Stück Demokratie und alles, was andere ausschließt ist eine Abgrenzung.
Wann ist Übersetzung sinnvoll und wann nicht?
Wenn ich bei einem Fachsymposium spreche, kann ich natürlich Fachsprache verwenden. Aber sobald ich ein heterogenes Auditorium vor mir habe, muss ich dem Rechnung tragen. Eine Möglichkeit ist, zuerst die wissenschaftliche Erklärung zu liefern und sie im Anschluss mit einer eingängigen Metapher zu erklären. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Erst die Molekülstruktur, dann das Bild des Schlüssel-Schloss-Prinzips.
Gibt es Unterschiede von Fach zu Fach?
Ja, die juristischen Sprache muss oft vage bleiben, da man nicht jeden Fall in Gesetzen vorhersehen kann. Man muss einen Rechtsrahmen schaffen, der einerseits möglichst klar ist, aber einen Ermessensspielraum erhält.
Was ist also eine gute Rede, die die allgemein verständlicher Sprache beherzigt?
Eine Rede, die das Thema erschöpft, aber nicht die Zuhörer. Eine richtig gute Rede wirkt nach und alles was bildhaft ist, kann man sich viel besser merken. Bevor Menschen schreiben konnten, haben sie gesprochen und sich Geschichten am Lagerfeuer erzählt. So haben sie Erfahrungen weitergegeben, die auch das Überleben sicherten. Da war es wichtig, dass sie Parallelen zu ihren eigenen Erfahrungen ziehen konnten, um sie nicht zu vergessen. Es bringt nichts, wenn jemand eine inhaltlich großartige Rede hält, der die Zuschauer nicht folgen können. Dann warten sie nur darauf, dass das Buffet eröffnet wird. Man kann in Reden zwar nicht permanent Geschichten erzählen, aber man kann immer wieder anschauliche Elemente einbringen. Eine gute Rede kann aber auch einfach nur erfreuen und erheitern. Bei den Kernbotschaften ist es wichtig, dass sie etwa die Länge eines O-Tons in der Tagesschau haben, damit sie von den Medien gut zitiert werden können. Das allein setzt schon eine Übersetzung in allgemein verständliche Sprache voraus. Und natürlich sollte die Rede sprachlich ansprechend und grammatikalisch korrekt sein. Eine Rede lebt von gesprochener Sprache, Schriftsprache macht sie schwerer verständlich. Bandwurmsätze und Substantivierungen sind zu vermeiden. Insgesamt gibt es aber keine Blaupause. Eine gute Rede passt immer zum Redner, zur Situation, zum Publikum und lässt wenig Raum für Interpretationen.