Do-it-yourself-Science steht für viele kleine und große Initiativen, die Forschung außerhalb wissenschaftlicher Institutionen betreiben. Das ist weit mehr als die Partizipation, die die meisten Citizen-Science-Projekte bieten, sagt die Biologin, Science Hackerin und Community-Managerin Lucy Patterson.
Do-it-yourself-Science, Demokratie und Diversität in der Forschung
Frau Patterson, wofür steht das Konzept Do-it-yourself-(DIY)-Science und wie unterscheidet es sich vom Begriff der Citizen Science?
Dafür müssen wir ein bisschen in der Zeit zurückgehen. Der Begriff Citizen Science wurde in den 1990er-Jahren von verschiedenen Personen geprägt. Rick Bonny in den USA definierte Citizen Science als Partizipation von Bürgern in Forschungsprojekten. Sie werden von Wissenschaftlern oder Institutionen, also top-down, begonnen – oft im Sinne von Crowdsourcing. Dieser Ansatz institutioneller Forschung mit Bürgerbeteiligung hat in den letzten Jahren stark zugenommen, wird öffentlich gefördert und findet sich immer öfter auch in Ausschreibungen für Forschungsgelder. Das alles ist eine tolle Sache, aber eine völlig andere Philosophie als DIY-Science.
Alan Irwin in Großbritannien hingegen verstand unter Citizen Science, dass jeder ein wissenschaftliches Projekt beginnen kann – Schulkinder, Gärtner, Wissenschaftler – ob in Kontakt mit einer wissenschaftlichen Institution oder nicht. Dieser Ansatz, Forschung von unten nach oben zu betreiben, wird zum Beispiel in Biohackerspaces, SciArt-Kollektiven von Umweltaktivisten und vielen anderen umgesetzt. Diese Gruppen fühlen sich aus verschiedenen Gründen dem Etikett Citizen Science nicht unbedingt zugehörig. Obwohl es Gemeinsamkeiten gibt, unterscheiden sich die Herausforderungen, Fragestellungen und auch die Communitys sehr. Deswegen finden viele von uns den Sammelbegriff DIY-Science besser, weil er uns zwar verbindet, aber auch deutlich macht, dass es viele Unterschiede gibt.
Welche Art von Projekten fällt unter den Begriff DIY-Science?
Alle, bei denen wissenschaftliche Methoden außerhalb traditioneller Forschungseinrichtungen, Universitäten oder Firmen zum Einsatz kommen. Communitys oder auch Einzelpersonen betreiben sie komplett in Eigenregie. DIYbio oder Biohacking ist vielleicht die bekannteste dieser Aktivitäten. Das Aufkommen der Hacker- und Maker-Szene und die zunehmende Verfügbarkeit günstiger Elektronik machen es möglich, sich ein einfaches, aber funktionales Labor für Molekularbiologie in der eigenen Küche oder einem lokalen Hackerspace einzurichten. In Internetforen wie der US-Mailinglist DIYBio diskutiert die globale Community miteinander und tauscht Tipps aus. Biohacker nutzen diese Labors, um sich mit Biotechnologie auseinanderzusetzen. Sie beantworten zum Beispiel Verbraucherfragen und betreiben eigene Forschung. Das Ziel ist hier, Biotechnologie zu entmystifizieren und zu demokratisieren. Dadurch sollen neue Perspektiven und Kritik sowie zivile und kulturelle Nutzung ermöglicht werden.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
2013 etwa gab es einen Lebensmittelskandal in Großbritannien, weil Pferdefleisch in Fertigprodukten gefunden wurde, die eigentlich nur Rind enthalten sollten. Da hat sich die Initiative MADlab aus Manchester aufgemacht, um PCR-Tests mit Lasagne durchzuführen. Das ist eine Technik aus der Molekularbiologie, mit der man herausfinden kann, ob bestimmte DNA-Sequenzen in der Lasagne sind. So kann man nachweisen, ob Pferd darin ist. In ihrem „Meet your Meat“-Workshop haben sie dann Bürger eingeladen, selbst ihre Fertigprodukte zu testen.
Welche anderen Bereiche gibt es in der DIY-Science?
Zum Beispiel Art Science oder SciArt. Die Künstlerin Mary Maggic etwa arbeitet in ihrem Projekt Molecular Queering Agency mit Hormonen. Sie nutzt einen selbstentwickelten Biosensor, um Abwasser und Urin auf Östrogene und ähnlichen Moleküle zu testen. Diese und andere Methoden integriert sie dann in ihre Performances. Ihre Arbeit konfrontiert die Ideen von heteronormativen mit queeren Gendertheorien. Sie zieht Parallelen dazu, wie wir in die Natur eingreifen und zum Beispiel weibliche Frösche männlich werden, weil Hormone durch Abwasser in ihren Lebensraum gelangen. Ihre Ästhetik ist dabei sehr grell und definitiv eine Herausforderung. Art Science kann entweder eine Hommage an die Forschung sein oder diese kritisch hinterfragen und in einen neuen Kontext stellen.
Wie finanzieren sich diese Projekte?
Alle diese Projekte haben gemeinsam, dass es wahnsinnig schwer ist, Geld dafür aufzutreiben. Die meisten Forschungsgelder werden nur an Institutionen vergeben. Daher müssen Projekte außerhalb auf andere Finanzierungsmodelle zurückgreifen, wenn sie über einen ehrenamtlichen Status hinauswachsen wollen. Für künstlerische Projekte ist es etwas Leichter, weil sie kulturelle Fördergelder beantragen können. Das funktioniert zum Beispiel ganz gut für Hackteria, eine eher europäisch-asiatische community aus Biologen und Künstlern. Initiativen in den USA haben außerdem mehr Chancen, mit Stiftungen oder anderen philanthropischen Geldgebern zusammenzuarbeiten. Wieder andere entwickeln eigene Business-Modelle wie Co-Working, verkaufen Mitgliedschaften im Hackerspace, betreiben Wissenschaftskommunikation oder gründen Start-ups mit Venture Capital.
DNA – DNA Hybridization Tools from Vlorenzo on Vimeo.
Wäre es nicht einfacher, sich mit seiner Idee an eine Institution zu wenden und die Forschung dort durchzuführen?
Der Punkt ist, dass man etwas anderes machen möchte als das, was die Institutionen machen. Die Ziele dieser staatlich oder zunehmen privat finanzierten Forschung bilden nicht eins-zu-eins die Anliegen der Gesellschaft ab. Die wissenschaftliche Community sollte dem begegnen können. Aber nicht jeder hat die Chance eine akademische Karriere zu verfolgen. Deswegen ist die Kultur an den Universitäten sehr homogen. Das sind tolle Leute, aber sie sind keine in sich diverse Forschercommunity. Aber die braucht man, um auch Diversität in den Forschungsfragen zu erreichen. Das schafft DIY-Science, indem hier ganz andere Leute forschend tätig werden, in einem ganz anderen Umfeld. Das US-basierte PublicLab ist ein solches Projekt. Sie haben sich 2010 zusammengefunden durch das Projekt Gulf Coast, das die Ölkatastrophe der Deep Water Horizon erforscht hat. Diese interdisziplinäre Gruppe Umweltaktivisten hat nicht geglaubt, dass die Behörden die Ölmengen, die dabei ins Meer geflossen sind, korrekt gemessen haben. Darum haben sie eine Art DIY-Luftfotografie mit Heliumballons entwickelt, um das Öl im Meer zu kartieren. So hatten sie eigene Daten in der Hand, mit denen sie auch politisch ganz anders Einfluss nehmen konnten. Seitdem haben sie eine unglaubliche Sammlung verschiedener DIY-Werkzeuge zur Umweltüberwachung entwickelt. Sie haben eine wachsende internationale Community und werden von mehreren US-Stiftungen gefördert.
Hat diese Forschung dann auch wieder Überschneidungspunkte mit der institutionellen Forschung?
Ja, denn DIY-Science ist auch eine Erweiterung von Open Science wie Open Access oder Open Peer Review. Ein Beispiel dafür ist Gathering for Open Science Hardware (GOSH). Hier baut eine internationale Community aus DIY-Scientists und akademischen Wissenschaftlern Ausrüstung auf Open-Source-Basis. Sie haben gerade ihren Entwicklungsplan bis 2025 veröffentlicht. Diese Technologien werden dann nicht nur von der DIY-Community genutzt, sondern sind auch gefragt bei Wissenschaftlern in Institutionen und Ländern mit sehr geringem Forschungsetat, also praktisch überall außerhalb des westlichen Kontextes. Oder bei Forschern, die ihre Instrumente gerne selbst einrichten möchten, um sie veränderten Forschungsfragen anzupassen, ohne dabei jedes Mal auf den Hersteller angewiesen zu sein. Und das ist wichtig, um die Forschung zu demokratisieren, die bisher vornehmlich westliche Perspektive auszuweiten und alternative Forschungsansätze zu ermöglichen.
Wie kann man mit der DIY-Science-Community in Kontakt treten?
Es gibt überall kleine Gruppen wie die DIY-Biologie-Gruppen in Heidelberg, München oder Berlin, oder das Luftdaten-Projekt in Stuttgart. Dieses Projekt kam über das Open Knowledge Lab zusammen und hat ein Gerät entwickelt, mit dem man Luftqualität messen kann. Oder viel ältere Gruppen wie der Krefelder Entomologischen Verein, der die Daten hinter der kürzlich veröffentlichten Studie über das Insektensterben zur Verfügung gestellt hat. Aber man muss selbst aktiv werden. Mein Tipp also: Macht euch auf die Suche nach dem nächsten Hackspace und geht zu oder organisiert selbst Science Hack Days oder Meetups.
19.12.17 „Punk science: Do-it-yourself science is taking off“, The Economist [Englisch]
26.10.17 „Outside the academy: DIY science communities“, Lucy Patterson, Keynote Vortrag, FORCE 2017 Open Science Conference [Englisch]
23.06.17 „Science Under the Scope: putting science in perspective“, a comic by Sophie Wang [Englisch]
2014 „The Countercultural Potential of Citizen Science“, Dan McQuillan, M/C Journal [Englisch]
2013 „What is Critical Citizen Science?“, a Storify by Dan McQuillan [Englisch]