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Wissenschaftskommunikation von Unternehmen: ein unerforschtes Feld?

In der Industrie wird geforscht und kommuniziert – nicht nur in der Pharma- und Automobilbranche. Warum blickt die Forschung zur Wissenschaftskommunikation so selten auf Unternehmen? Sophia Volk von der Universität Zürich diskutiert die Frage, wie wirtschaftliche Akteur*innen wissenschaftliche Themen kommunizieren und stößt lohnenswerte Forschungsfragen an. 

Frau Volk, können Unternehmen überhaupt Wissenschaftskommunikation betreiben? 

Sophia Charlotte Volk ist Oberassistentin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IKMZ) der Universität Zürich (Schweiz) und forscht an der Schnittstelle von Wissenschafts- und Unternehmenskommunikation. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strategische Kommunikation der Universität Leipzig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Hochschul- und Strategische Kommunikation, Evaluation und Wirkungsmessung, digitale Informationsumgebungen und -technologien sowie international vergleichende Forschung. Foto: privat

Das würde ich ganz klar bejahen – zumal Wissenschaftskommunikation ja mittlerweile üblicherweise breit verstanden wird. Einerseits kommunizieren auch Unternehmen über wissenschaftliche Themen – zum Beispiel, wenn sie auf ihrer Webseite oder ihren Social Media Kanälen über ihre Forschung berichten. Andererseits kann man Unternehmen durchaus als Akteure des Wissenschaftssystems begreifen, wenn sie im Rahmen von Forschung und Entwicklung Grundlagen- oder Anwendungsforschung betreiben. Klassische Branchen, bei denen das der Fall ist, sind die Pharmaindustrie, der Energie-, Technologie- oder Automobilsektor. Es gibt aber auch Unternehmen, die sich nicht in forschungsnahen Branchen bewegen und trotzdem über Wissenschaft kommunizieren, mitunter auch mit problematischen Motiven. 

Was könnte daran problematisch sein?

Wenn eigene, monetäre Interessen im Vordergrund stehen, kann das dazu führen, dass Limitationen von Studien in der Kommunikation verschleiert werden. Oder es wird verschwiegen, dass es auch Studien gibt, die zu gegensätzlichen Ergebnissen kommen. Möglicherweise springen Unternehmen, die gar keine Forschungs und Entwicklungs-Abteilungen haben und selbst nicht forschen, auf einen wissenschaftlichen Trend auf oder täuschen wissenschaftliche Praktiken vor, um daraus einen Mehrwert zu generieren – Kolleg*innen haben das „Sciencewashing“ genannt. Dazu gibt es allerdings wenig Forschung.

Bei den Studien, die es gibt, habe ich den Eindruck, dass Wissenschaftskommunikation von Unternehmen häufig negativ konnotiert ist.1 Hier müssen wir vorsichtig sein, denn dabei wird vielleicht übersehen, dass Forschende an Universitäten und wissenschaftliche Institutionen durchaus auch Eigeninteressen verfolgen können.2  Auch solchen klassischen Akteur*innen der Wissenschaftskommunikation würde ich keine völlige Interessenlosigkeit attestieren. 

Zum Thema Interessen: Welche Ziele verfolgen Unternehmen bei der Wissenschaftskommunikation? Unterscheidet sich das von Universitäten und Forschungseinrichtungen? 

„Bei den Studien, die es gibt, habe ich den Eindruck, dass Wissenschaftskommunikation von Unternehmen häufig negativ konnotiert ist.“ Sophia Charlotte Volk
In beiden Bereichen wird strategisch kommuniziert. Darunter verstehe ich jegliche Form von Kommunikation, die für das Fortbestehen der Organisation wichtig ist.3 Sowohl in Unternehmen als auch in Universitäten wird im Auftrag von Organisationen kommuniziert, deren Ziele teilweise ähnlich sind – beispielsweise Reputationssteigerung, Legitimitätssicherung oder die Stärkung der eigenen Marke.4 Denn auch Universitäten müssen Drittmittel einwerben und Studierende überzeugen. Bei unserer Studie zu Universitätskommunikator*innen in der Schweiz hat sich gezeigt, dass für viele die Reputationspflege als Ziel vor der Wissensvermittlung steht.5 

Das heißt: Die Organisation steht vor dem Gemeinwohl?

Ob eher auf die eigene Institution gerichtete oder gemeinwohlorientierte Ziele verfolgt werden, muss empirisch untersucht werden. Möglicherweise sind die dadurch entstehenden Zielkonflikte in Unternehmen stärker als in Universitäten. Denn dort gibt es ein kommerzielles Interesse an Forschung, sie wird nicht zum Selbstzweck betrieben.6 An Universitäten hingegen ist Wissensproduktion ein originäres Ziel der Organisation. Entsprechend werden hier auch gesellschaftlich ausgerichtete Ziele verfolgt: Wissen wird vermittelt und Aufmerksamkeit auf die Forschung oder bestimmte Themen und Disziplinen gelenkt.

Leider wissen wir aus der Forschung wenig darüber, wie Wissenschaftskommunikation von Unternehmen organisiert wird. Einerseits gibt es Abteilungen für Unternehmenskommunikation und Marketing, die auch Wissenschaftskommunikation – etwa unter der Bezeichnung „R&D Communications“ – betreiben. Andererseits haben beispielsweise Pharmaunternehmen oder Automobilkonzerne häufig eigene Stiftungen, die Wissenschaftskommunikation betreiben und somit von der Unternehmenskommunikation losgelöst sind. 

Gibt es Unterschiede bei der Auswahl der Zielgruppen?

„Was wir als Wissenschaftskommunikation bezeichnen, wird in der unternehmensbezogenen Forschung und Praxis oft anders benannt.“ Sophia Charlotte Volk
Universitäten versuchen, potenzielle Studierende zu rekrutieren und Forschende an die eigene Einrichtung zu holen. Trotzdem ist der Anspruch da, Wissenschaft an die breite Öffentlichkeit zu vermitteln. Das ist sicherlich in der Wirtschaft anders. Dort wird Wissensvermittlung nicht betrieben, ohne dass dies mit unternehmerischen Zielen wie Themenführerschaft oder Reputationsaufbau bei bestimmten Stakeholder-Gruppen verbunden ist. Es geht dann zum Beispiel darum, Mitarbeitende zu rekrutieren oder auf lange Sicht dem Fachkräftemangel vorzubeugen. 

Welche Wirkung hat die Wissenschaftskommunikation von Unternehmen? 

Das ist schwierig zu sagen, weil es auch dazu wenig Forschung gibt. Man kann annehmen, dass es sowohl positive als auch negative Effekte gibt. Bei vielen Formaten kann man sicherlich von einer positiven Wirkung ausgehen. Angebote wie Girls’ Days, Science Camps oder gesponserte Schüler*innenwettbewerbe können etwa dazu führen, dass sich Mädchen stärker für MINT-Fächer interessieren7 – das ist aber empirisch schwierig zu messen.8 

Andererseits gibt es vermutlich eine Reihe von negativen Effekten. Das hat auch damit zu tun, wie vertrauenswürdig das Unternehmen insgesamt wahrgenommen wird.9 Wenn ihm nicht abgekauft wird, dass es transparent über die Limitation der eigenen Forschung und Entwicklung berichtet, kann man davon ausgehen, dass Effekte wie Misstrauen und Skepsis entstehen, was in der Corporate-Social-Responsibility-, also der CSR-Forschung bereits vielfach untersucht wurde.10

Warum gibt es bisher so wenig Forschung zur Wissenschaftskommunikation von Unternehmen?

Das hat sicherlich verschiedene Gründe. Mike Schäfer und Birte Fähnrich haben vor ein paar Jahren herausgearbeitet, dass es grundsätzlich wenig Interesse an der Wissenschaftskommunikation von Organisationen und damit auch von Unternehmen gibt.11 Von den mehr als 200 Artikeln aus Fachzeitschriften der Wissenschaftskommunikation, die sie sich angeguckt haben, haben sich nur 1,5 Prozent mit Unternehmen beschäftigt. Das ist verschwindend gering. Mein Eindruck ist, dass das Thema bisher einfach nicht so auf dem Schirm war. Man interessierte sich eher für Kommunikation, die an eine breite Öffentlichkeit gerichtet war. In der Forschung zu Unternehmenskommunikation und strategischen Kommunikation hingegen ist wenig Interesse an Wissenschaft vorhanden. 

„Es ist schon erschreckend, dass so wenig dazu geforscht wird.“ Sophia Charlotte Volk
Ein weiterer Grund ist, dass unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet werden. Was wir als Wissenschaftskommunikation bezeichnen, wird in der unternehmensbezogenen Forschung und Praxis oft anders benannt. Wir kommen also in der Forschung nicht unbedingt weiter, wenn wir nur mit dem Begriff der Wissenschaftskommunikation operieren.

Welche Begriffe werden stattdessen verwendet?

Gerade in den 90er-Jahren bis in die 2000-er finden sich Studien unter den Stichworten „Innovationskommunikation“, „Technologiekommunikation“ oder auch „R&D Communications“.12 Daneben gibt es Studien, die wissenschaftliche Themen am Rande streifen. Aktuell sehe ich solche Forschung im Bereich ESG – also Environmental, Social and Governance – Communications, im Bereich Sustainability Communications und CSR. All diese Bereiche haben einen Bezug zu wissenschaftlichen Themen. 

Womit beschäftigen sich die Studien, die es gibt? 

Thematisch sind die Studien oft auf Umwelt, Klima und Gesundheit beschränkt. Die Erforschung von wissenschaftlichen Themen im Zusammenhang mit Unternehmen passiert häufig eher kritisch und oft in Form von langjährigen Fallstudien13, etwa zu Exxon14 oder Philip Morris. Darüber hinaus gibt es inhaltsanalytische Studien, die zum Beispiel Werbeanzeigen15 untersuchen oder in CSR-Berichten16 aufschlüsseln, wie viel darin über (Klima-)Wissenschaft berichtet wird. 

Viel mehr gibt es eigentlich nicht. Es ist schon erschreckend, dass so wenig dazu geforscht wird. Denn in Deutschland wird sehr viel Geld in Forschung und Entwicklung investiert. Da erscheint es absurd, wie wenig man über Unternehmen und ihre Kommunikation zu wissenschaftlichen Themen weiß. Denn natürlich kann die Wirtschaft einen erheblichen Einfluss auf die Medienberichterstattung und die öffentliche Wahrnehmung von Themen wie Gesundheit oder Klimawandel haben. Wenn wir Unternehmen als Akteure der Wissenschaftskommunikation in Zukunft nicht stärker in den Blick nehmen, entgeht uns ein wesentlicher und wachsender Teil der Kommunikation über wissenschaftliche Themen.

Welche Aspekte sollten genauer untersucht werden?

Es braucht auf jeden Fall eine empirische Bestandsaufnahme: Welche Unternehmen betreiben Wissenschaftskommunikation? Wie grenzt man das von Produkt- und Marketingkommunikation ab? Wer kommuniziert eigentlich? Welchen Hintergrund haben die Kommunikator*innen, welche Ziele verfolgen sie und auf welche ethischen Konflikte stoßen sie? Kommunizieren auch Forschende in den Unternehmen, die als Corporate Ambassadors17 aufgebaut werden oder sich zum Beispiel selbst als Expert*innen auf LinkedIn positionieren? Ich denke, dass das zunehmend passiert, aber es gibt einfach kaum Forschung dazu. 

Auch das schon angesprochene Thema Sciencewashing verdient eine genauere Betrachtung. Es gibt von Tess Legg und Kolleg*innen eine Systematisierung von Strategien, die Unternehmen nutzen, um zu beeinflussen, was erforscht wird, wie die Forschung durchgeführt, verbreitet und interpretiert wird, oder welche Erkenntnis verschleiert wird— wodurch letztendlich so etwas wie Wissensbehinderung betrieben wird.18 

Wie würden Sie dabei vorgehen?

Das kann man mit Fallbeispielen erforschen, aber auch mit breiter angelegten Analysen, die zum Beispiel Pressemitteilungen und die daraus resultierende Berichterstattung untersuchen. Man könnte sich auch Reports, Webseiten und Werbeanzeigen anschauen, mit denen Nachhaltigkeitskommunikation betrieben wird. Wie wird wissenschaftliche Evidenz argumentativ eingesetzt – oder sogar missbraucht von Unternehmen, die selbst gar nicht forschen? 

Spannend wären Wirkungsstudien, in denen untersucht wird, wie glaubwürdig die Kommunikation von Unternehmen zu wissenschaftlichen Themen in der Bevölkerung eingeschätzt wird. Sind sich die Rezipient*innen überhaupt bewusst, woher die Informationen stammen?

Außerdem bräuchte es Forschung, die über die kommunikationswissenschaftliche Perspektive hinausgeht und untersucht, inwiefern Unternehmen tatsächlich versuchen, etwa industriefreundliche Studien zu finanzieren. Um solche Praktiken aufzudecken, braucht es letztlich aber auch einen investigativen Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalismus oder Formate wie die Quarks Science Cops.