Haben Teile der Bevölkerung ihr Vertrauen in Parteien, in die Medien, aber auch in die Wissenschaft verloren? Auch die Forschung über Wissenschaftskommunikation diskutiert über diese Frage. Wir stellen in loser Folge Debatten und Forschungsbeiträge dazu vor.
Wer vertraut noch der Wissenschaft? (Teil 1)
Die jüngste Ausgabe (05/2016) des Journal of Science Communication widmet sich dem Thema „Vertrauen in Wissenschaft“ in einem Schwerpunkt. Die Artikel stellen wir in zwei Teilen vor. Beginnen werden wir mit dem Grundsatzartikel von Peter Weingart und Lars Günther sowie den beiden Repliken von Alan Irwin und Maja Horst sowie Jane Gregory. Für Eilige haben wir eine Zusammenfassung der Kernaussagen vorangestellt.
Zusammenfassung: Einigkeit beim Symptom, nicht bei der Ursache
Alle drei hier vorgestellten Texte sind sich in einer Sache einig: Ja, die Wissenschaftskommunikation leidet unter einem zunehmenden Vertrauensverlust seitens des Publikums. Bei den Ursachen hierfür herrscht aber große Uneinigkeit.
Für Peter Weingart und Lars Günther ist der Schuldige schnell ausgemacht: Medienwandel und viele neue Akteure sorgen für einen Einbruch wissenschaftsfremder Partikularinteressen – Stichwort PR – und verunreinigen damit die Wissenschaftskommunikation.
Dagegen wenden Alan Irwin und Maja Horst ein: Eine derartige Verklärung früherer Zustände ist untauglich zur Erklärung der heutigen Entwicklungen. Bevor man also irgendwas fordere, müsse überhaupt erst einmal die Situation vorurteilsfrei erforscht werden.
Zwischen beiden liegt Jane Gregory. Sie sieht die Ursache im Spätkapitalismus, der für eine Ökonomisierung aller Lebensbereiche sorge. Folglich werde auch die Wissenschaft(-skommunikation) zunehmend von wirtschaftlichen Interessen dominiert. Da das Publikum dies merke, sinke ganz logisch auch das Vertrauen. Eine Lösung könne nur fundamental erfolgen: Durch eine Änderung des Wirtschaftssystems.
Peter Weingart & Lars Guenther: “Science communication and the issue of trust”
Soziologe Peter Weingart (Stellenbosch University) und Kommunikationswissenschaftler Lars Günther (Stellenbosch University) diskutieren die Rolle von Vertrauen angesichts des Booms der Wissenschaftskommunikation in den letzten 30 Jahren. Wichtiger Einflussfaktor sei hierbei auch das Aufkommen Sozialer Medien.
Sie gehen davon aus, dass Wissenschaft weiterhin die maßgebliche Quelle sei, wenn es um verlässliches Wissen geht. Folglich sei Vertrauen in diese Quelle enorm wichtig, und da die Verbindung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft über die Wissenschaftskommunikation hergestellt werde, sei auch das Vertrauen in diese Kommunikation zentral.
Viele Akteure – viele Interessen
Allerdings nähmen nicht nur die Aktivitäten rund um Wissenschaftskommunikation zu, sondern auch die Zahl der darin involvierten Akteure. Diese Akteure seien „wissenschaftsfremd”, was wiederum das Vertrauen gefährde. Während Weingart und Günther der Wissenschaft als Institution nämlich Gemeinwohlorientierung und Freiheit von politischen und wirtschaftlichen Interessen unterstellen, hätten die anderen Akteure eigene Partikularinteressen.
Konkret nennen sie Regierungen und Politiker (weil sie politische Projekte verfolgten), Pressesprecher und PR-Spezialisten (denn sie betrieben Werbung für ihre Institutionen), Wissenschaftsjournalisten (ökonomischer Druck senke Standards und Soziale Medien beraubten sie ihrer Gatekeeperfunktion) und Blogger (denn dort, so nehmen die Autoren an, gebe es keine Qualitätskontrolle).
Aber auch Wissenschaftler selbst gerieten unter Druck: Sie sähen sich einer Forderung nach möglichst viel Kommunikation gegenüber, weil die Demokratie das fordere. Sie sollten mit einer möglichst großen, heterogenen Öffentlichkeit kommunizieren, und sie müssten sich der Messung ihrer Reputation etwa in den Sozialen Medien stellen. Angesichts dessen gerieten sie in Versuchung traditionelle Wissenschaftsnormen im Zuge der Selbstvermarktung über Bord zu werfen. Damit würden auf gefährliche Weise Interessen der einzelnen Forscher mit Gemeinwohlinteressen vermischt.
Vertrauen in Institutionen
Zudem würde die Bevölkerung Institutionen, die mit Partikularinteressen in Verbindung gebracht werden – wie etwa die Wirtschaft -, weniger vertrauen, als solchen, von denen sie annimmt, dass sie dem Allgemeinwohl dienen, also etwa die Wissenschaft.
Deswegen vermuten die beiden Forscher, dass Wissenschaftskommunikation von Regierungen, der Industrie oder universitären PR-Stellen von vornherein weniger vertraut würde, als derjenigen von universitären Wissenschaftlern (also: „science proper” (S.7)) oder Wissenschaftsjournalisten.
Soziale Medien verkomplizieren die Situation
Ein weiteres Problem bestehe in der zunehmenden Beliebtheit von Sozialen Medien in der Wissenschaftskommunikation. Die großen Plattformen dieser „new ecology of communication” (S. 5), Twitter und Facebook, finanzierten sich vor allem über Werbung. Entsprechend schreibe sich auch die Logik der Werbeindustrie in die dortige Kommunikation ein: Sie personalisieren auf Grundlage der eigenen Vorlieben und bevorzugten außerdem die Mehrheitsmeinung. Dies läge konträr zur Logik der Wissenschaftskommunikation, die über neue Entwicklungen informieren und zum kritischen Denken anregen sollte. Die Debatte um den aktiven Einfluss von Facebook auf die sogenannten Trending News oder der Rolle von Bots auf Twitter veranschauliche zusätzlich, dass es sich bei den Social-Media-Plattformen nicht um neutrale Mittler handle.
Hinzu komme, dass es auf den Plattformen keine institutionelle Qualitätskontrolle gebe und man so die konkreten Quellen kennen und beurteilen müsse, um ihre Vertrauenswürdigkeit einschätzen zu können – für Laien sei dies eher schwierig.
Eine düstere Zukunft
Letztlich, so Weingart und Günther, sei die aktuelle Entwicklung vom Verschwinden vertrauenswürdiger Gatekeeper und dem Verschmelzen von Information und Werbung gekennzeichnet. Das unter diesen Umständen Vertrauen entsteht, sei eher unwahrscheinlich. Dabei sei die Glaubwürdigkeit der Kommunikation und das Vertrauen in die Kommunikatorinnen gerade in der Wissenschaftskommunikation sehr wichtig – wichtiger sogar als in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Alan Irwin & Maja Horst: “Communicating trust and trusting science communication – some critical remarks”
Die eher düstere Darstellung von Weingart und Günther blieb nicht unwidersprochen. Neben einer Reihe von Behauptungen im Ursprungstext – etwa Wissenschaft orientiere sich am Allgemeinwohl und stehe über politischen und wirtschaftlichen Interessen – kritisieren Alan Irwin (Copenhagen Business School) und Maja Horst (Universität Kopenhagen) die Rolle, die Weingart und Günther der PR zuschreiben.
PR – nicht per se verdorben
Für die beiden Soziologen ist PR nicht per se schlecht, sondern vielmehr eine unter vielen Kommunikationsformen in der „ecology of science communication” (S. 2), die empirisch und unvoreingenommen betrachtet werden sollte. Konkret wenden sie ein:
- Das Geflecht aus Akteuren in der Wissenschaftskommunikation könne nicht einfach in „böse PR” auf der einen und „gute Aufklärung” auf der anderen Seite geteilt werden.
- „Reine” Information und institutionelle oder persönliche Interessen und Meinungen könnten in der Wissenschaftskommunikation nicht klar voneinander getrennt werden.
- Die Unterscheidung zwischen „reiner Wissenschaft” („science proper”) und „unreiner Wissenschaft” („scientists in industry” bei Weingart und Günther) sei zu oberflächlich.
- Es gebe nicht die eine, homogene Öffentlichkeit, sondern diese zerfalle in viele, sehr spezifische Öffentlichkeiten. Dies erfordere ein Verständnis von Vertrauen, welches kontextabhängig und variabel ist. Wie man sich dies konkret vorzustellen hat, wird allerdings nicht ausgeführt.
Weingart und Günther idealisierten eine unbefleckte Wissenschaft früherer Tage. Das verstelle ihnen den Blick auf die tatsächlichen Veränderungen. Stattdessen sollte in der Erforschung der Wissenschaftskommunikation unvoreingenommen und kritisch untersucht werden, wie sich die heutige Wissenschaft verändert, wie sich Wissenschaftskommunikation ausdifferenziert und wie die „Mechanismen von Zweifel und Vertrauen” (S. 4; eigene Übersetzung) genau funktionierten.
Jane Gregory: “The price of trust – a response to Weingart and Guenther”
Ebenfalls nicht ganz einverstanden mit Weingarts und Günthers Diagnose ist Jane Gregory. Sie ergänzt unter anderem, dass Wissenschaftskommunikation sich nur marginal von anderer Kommunikation unterscheide und entsprechend auch nie neutral gewesen sei.
In diesem Sinne wendet sie sich gegen die historische Darstellung bei Weingart und Günther. Wissenschaftskommunikation sei nicht das bloße Nebenprodukt einer sich institutionalisierenden und professionalisierenden Wissenschaft im 19. Jahrhundert. Sondern sie sei vielmehr die soziale Grundlage, auf der sich diese erst abspielen konnte. Gleichzeitig sei auch die Einmischung von herrschenden Interessen in die Wissenschaft und ihre Kommunikation kein neues Phänomen. Schließlich hätten bereits Napoleon oder Prinz Albert in der Forschung interveniert.
Wenig überraschend sei es deshalb, dass in einer Zeit allgemeiner Skepsis auch die Glaubwürdigkeit der Wissenschaftskommunikation in Frage gestellt werde. Tatsächlich neu sei hingegen die Geschwindigkeit, mit der sich die Kommerzialisierung der Wissenschaft und die damit einhergehenden Veränderungen in der Wissenschaftskommunikation vollziehen. Das Ergebnis sei: „[…] money is the game. Science communication is, in our time, a weapon in the battle for commercial supremacy in the market.” (S. 3; Hervorhebungen im Original)
Innovation Economy als Ursache
Hintergrund und Ursache der Entwicklung sei der Spätkapitalismus, insbesondere dessen, was Gregory „Innovationswirtschaft” („innovation economy”, S. 4) nennt: Ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, dessen Grundlage ständige Innovation sei. Diese mach auch vor der Wissenschaft nicht halte mache, weswegen auch die Wissenschaftskommunikation, mehr unternehmerischen denn journalistischen Grundsätzen folge.
Der Wissenschaftskommunikation komme heutzutage die Funktion zu, soziale Bedeutungen zu konstruieren: Was bedeutet ein neues Forschungsergebnis oder ein Produkt im sozialen Leben? Sie solle grundsätzlich das Gute an neuen Entwicklungen herausstellen und eine Kultur der Erwartung schaffen. Zentrales Instrument dabei: Pressemitteilungen. Damit gehe es in der PR auch gar nicht mehr darum, wie Weingart und Günther meinen, so viele Menschen wie möglich zu erreichen, sondern nur Akteure von wirtschaftlichem Interesse: Märkte und Kapitaleigner.
Das wirke sich auch auf den Journalismus aus: Journalistische Wissenschaftsnachrichten wie Werbung läsen sich daher häufig wie Werbung.
Gregory gibt ihren Lesern eine Liste mit Merkmalen an die Hand, an der man diesen neuartigen Wissenschaftsjournalismus erkenne – die eine ehre düstere Diagnose des Wissenschaftsjournalismus widerspiegeln:
- ein feierlicher Ton;
- der Unwille als Kontrollorgan zu agieren;
- Berichterstattung über inszenierte statt reale Ereignisse (z. B. Pressekonferenzen);
- Debatten und Kontroversen erscheinen als unbotmäßige Abweichungen;
- der Fokus liegt auf einigen Starwissenschaftler und Unternehmenschefs;
- als Vorbilder werden Unternehmen dargestellt, nicht Menschen;
- die Öffentlichkeit gelte als Masse passiver Konsumenten;
- Öffentlichkeit diene als Schaufenster für Wissenschaft.
Das Publikum merke dies allerdings und bringe nun folgerichtig auch der Wissenschaftskommunikation das Misstrauen entgegen, dass es allen Institutionen entgegenbringe, die private über öffentliche Interessen stellen. Hier kommt Gregory also zur gleichen Diagnose wie Weingart und Günther.
Ihr Fazit: „This is a problem for science journalism, but it is not a problem of science journalism” (S. 6). Die Ursache des Problems liege also im globalen Wirtschaftssystem. Da Journalisten wirtschaftlich von diesem abhängig seien, sei es an der Öffentlichkeit, die „Balance zwischen privaten und öffentlichen Interessen” wieder herzustellen. Die wachsende Skepsis gegenüber Wissenschaftsnachrichten sei ein Zeichen dafür, dass dieser Prozess bereits begonnen habe.
Gregory, Jane. 2016. „The price of trust — a response to Weingart and Guenther“. Journal of Science Communication 15 (6): 1–8. (Open Access)