Science March Deutschland: Wer marschiert da – und wofür?
Am Samstag, den 22.04.2017, demonstrierten weltweit hunderttausende Menschen an mehr als 600 Orten für die Wissenschaft. Auch in Deutschland gab es in mehr als 20 Städten Kundgebungen, die sich dem in den USA initiierten „March for Science“ angeschlossen hatten. Auf diese Weise für Wissenschaft zu demonstrieren ist historisch einmalig und kann als ein Akt der Wissenschaftskommunikation angesehen werden, möglicherweise – vor allem dann, wenn es wiederholt werden sollte – gar als ein neues Format, das sich mutatis mutandis neben etablierten Formaten wie dem populärwissenschaftlichen Vortrag, der Wissenschaftsausstellung, dem Wissenschaftsblog usw. einordnen lässt.
Auf der für die deutsche „March for Science“-Bewegung zentralen Webseite wurde im Vorfeld dazu aufgerufen, „dafür zu demonstrieren, dass wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses nicht verhandelbar sind“ (http://marchforscience.de/ – Zugriff 20.04.2017). „Wissenschaftlich fundierte Tatsachen“ dürften nicht „geleugnet, relativiert oder lediglich ‚alternativen Fakten’ als gleichwertig gegenübergestellt werden, um daraus politisches Kapital zu schlagen“ (ebd.). Ausdrücklich versuchten die Organisatoren, nicht nur Forschende, sondern auch weitere Bürger/innen zu mobilisieren, und zwar konkret solche, „denen die deutliche Unterscheidung von gesichertem Wissen und persönlicher Meinung nicht gleichgültig ist“ (ebd.). Der „March for Science“ wurde nach und nach offiziell von den großen deutschen Wissenschaftsorganisationen, zahlreichen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie Einzelpersonen unterstützt. Auch weltanschaulich geprägte, zum Beispiel humanistisch orientierte Organisationen zählten zu den Unterstützern (http://marchforscience.de/unterstuetzer/ – Zugriff 20.04.2017).
Im Vorfeld der Märsche, die am 22.04.2017 zu verschiedenen Zeitpunkten hier zu Lande starteten (mit einer abendlichen Auftaktveranstaltung bereits am 21.04. in Kiel), wurde in Deutschland teils kontrovers darüber debattiert, ob öffentliche Demonstrationen ein geeignetes Mittel sind, Anliegen der Wissenschaft zu artikulieren1. Kritiker führten an, dass von einer solchen Form der Wissenschaftskommunikation u. U. sogar negative Wirkungen für die Wissenschaft, etwa eine Imageschädigung, ausgehen könnten. So warnte Robin Mishra, der Leiter Wissenschaft der deutschen Botschaft in Washington D.C., am 13.04.2017 in einem Essay für den „Chancen Brief“-Newsletter der Wochenzeitung „Die Zeit“, sollte „der ,March for Science’ gar zur Bühne für billige antiamerikanische Parolen werden, hätte ihn die deutsche Wissenschaft teuer bezahlt – mit ihrer Glaubwürdigkeit.“2
Das Feld der Wissenschaftskommunikation lässt sich in einem einfachen Modell nach Akteur/innen unterteilen (siehe Abb. 1) – wobei neben den drei klassischen Akteursgruppen der Wissenschaftler/innen, der Medien- und Öffentlichkeitsarbeiter/innen sowie der Wissenschaftsjournalist/innen heute zahlreiche weitere Akteur/innen treten, von NGO-Vertreter/innen über Politiker/innen bis hin zu engagierten Lai/innen. Bei den etablierten Formaten der Wissenschaftskommunikation ist für die Rezipient/innen bzw. Außenstehende in der Regel nachzuvollziehen oder zumindest recherchierbar, welcher Gruppe die Akteur/innen angehören. Dies gilt für die „Science Märsche“ nicht. Vor diesem Hintergrund ist es von Interesse, empirisch zu erheben, welche Personengruppen sich aktiv als Teilnehmer/innen an den deutschen Märschen beteiligten, und herbei insbesondere, ob sich auch Bürger/innen, die nicht an forschenden Institutionen beschäftigt oder Studierende sind, den Kundgebungen für die Wissenschaft anschlossen. Vor allem aber gilt es zu analysieren, aus welchen konkreten Beweggründen die Menschen sich beim „March for Science“ engagierten. Stand die Kritik an der US-amerikanischen Politik im Vordergrund? Brachte ein allgemeines Unwohlsein gegenüber „populistischen Strömungen“, die als wissenschaftsfeindlich wahrgenommen werden, die Menschen auf die Straße? Oder ging es schlicht darum, an einem schon im Vorfeld von vielen als singulär eingestuften Event beizuwohnen?
Um Anhaltspunkte zur Beantwortung dieser Fragen zu gewinnen, führten wir eine internetgestützte Befragung durch, die zwischen Freitag, dem 21.04.2017 (14.00 Uhr), und Sonntag, dem 23.04.2017 (13.00 Uhr), freigeschaltet war. Auf diese Befragung wurde im Erhebungszeitraum vor allem per Social Media aufmerksam gemacht. So gingen vom Twitteraccount @scifunkel (Carsten Könneker) in dieser Zeit insgesamt 48 Tweets mit dem Link zu Befragung aus, die zum Teil von den Twitteraccounts der jeweiligen lokalen „Science March“-Veranstalter retweetet wurden, außerdem auch vom Twitteraccount @ScienceMarchGer. Hierbei wurde versucht, zudem den „March for Science“ in Wien mit zu erfassen. Fast alle der Tweets enthielten zusätzlich als Bildelement einen QR-Code, der zur Umfrage führte. Darüber hinaus wurden mindestens bei den Kundgebungen in Berlin, Trier und Heidelberg durch Unterstützer/innen vor Ort Handzettel verteilt, die eine Aufforderung zur Teilnahme an der Befragung und ebenfalls den QR-Code enthielten. Diese Handzettel waren über einen Server des KIT abrufbar für freiwillige Unterstützer/innen, die durch Verteilen vor Ort die Befragung im Sinne eines „Citizen Science“-Beitrags unterstützen wollten. Zuletzt wurde von einzelnen Sprecher/innen auf den lokalen Abschlussveranstaltungen mündlich zur Teilnahme an der Befragung aufgerufen, so mindestens in Bonn, Dresden und Heidelberg.
Die Ergebnisse der Befragung, die insgesamt von 416 Personen bis zum Ende ausgefüllt wurde, sind nicht repräsentativ für die Zusammensetzung der „Science-Märsche“ in Deutschland und Österreich und ebenso wenig für die Motive der Marschierenden. Ein methodisches Problem liegt bereits darin begründet, dass die Rekrutierung für die Umfrage vor allem per Social Media und konkret über Twitter erfolgte – wodurch ein Teil der Demonstrierenden nicht erreicht werden konnte. Auch schwankte die Unterstützung bei der Bekanntmachung der Studie durch die jeweiligen lokalen Organisatoren erheblich, so dass von einzelnen Veranstaltungen aus nahezu keine Teilnahme an der Befragung erfolgte. Des weiteren kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich auch Personen an der Befragung beteiligten, die den Veranstaltungen gar nicht selbst beiwohnten.
Immerhin aber geben die Ergebnisse der Erhebung empirisch begründete Anhaltspunkte dafür, die Frage zu beantworten, wer sich hier zu Lande an den „March for Science“-Kundgebungen beteiligte – und aus welchen Beweggründen.
Von den 416 Fragebögen wurden nach der Bereinigung um unvollständige Datensätze 340 ausgewertet. Von den ausgewerteten Datensätzen stammen 43,8 Prozent von Frauen und 53,5 Prozent von Männern. Das Durchschnittsalter der Befragungsteilnehmer/innen betrug 36,5 Jahre. Im Mittel benötigten sie sieben Minuten zum Ausfüllen des Fragebogens.
Die Ergebnisse der Befragung lassen darauf schließen, dass sich nicht nur Angehörige des Wissenschaftssystems an den Demonstrationen in Deutschland beteiligten. 24,7 Prozent der Befragten gaben an, an einer Hochschule beschäftigt zu sein; weitere 15,3 Prozent sind an einer außeruniversitären Forschungseinrichtung tätig. Hinzu kommen 25,9 Prozent Studierende unter den Befragten. Demgegenüber gaben 20,6 Prozent an, an einer nicht-wissenschaftlichen Institution beschäftigt zu sein; außerdem nahmen 11,8 Prozent Freiberufler an der Studie teil. Zusammen mit Schüler/innen (3,2 Prozent), Ruheständler/innen (2,1 Prozent) und nicht Berufstätigen (1,2 Prozent) bildet die Gruppe der Befragungsteilnehmer/innen, die weder in einer wissenschaftlichen Einrichtung beschäftigt sind noch aktuell studieren, 38,9 Prozent (siehe Diagramm 1). Auch der Großteil der 12,1 Prozent Studienteilnehmer/innen, die einen sonstigen Status angaben, sind noch dieser Gruppe zuzurechnen, so dass davon auszugehen ist, dass etwa 4 von 10 Befragten aktuell nicht im engeren Sinne dem Wissenschaftssystem angehören. Nicht erfasst ist hierbei freilich, welcher Anteil innerhalb dieser Gruppe Familienangehörige, Freunde oder Partner von Menschen repräsentiert, die ihrerseits aktuell dem Wissenschaftssystem angehören. Diese Befunde deuten darauf hin, dass das Ziel der Veranstalter, auch Menschen für den „March for Science“ zu mobilisieren, die selbst nicht in forschenden Einrichtungen tätig sind, in Teilen erreicht worden sein könnte.
Dass es sich bei den Marschierenden dennoch um ein weitgehend akademisches Publikum gehandelt haben dürfte, legen die Angaben in der Befragung zum höchsten bislang erreichten Bildungsabschluss nahe. So verfügen in unserer Stichprobe 90,3 Prozent der Studienteilnehmer/innen über die (Fach-)Hochschulreife, 69,7 Prozent über einen Hochschulabschluss und 19,7 Prozent über eine Promotion.
Die Analyse der Motive für die persönliche Teilnahme am „March for Science“ zeigt, dass Protest gegen die Politik der aktuellen US-Regierung für viele der Umfrageteilnehmer/innen nicht der wichtigste Beweggrund war, um auf die Straße zu gehen. Die Zustimmungswerte („trifft zu“ oder „trifft eher zu“) hierzu liegen in der Stichprobe bei 53,0 Prozent und damit nur im unteren Drittel der erhobenen Motive (siehe Diagramm 2). Die wichtigsten Gründe, am „March for Science“ teilzunehmen, waren bei den Befragten
- der Wunsch, dass wissenschaftliche Evidenz in Debatten und bei politischen Entscheidungen mehr Gehör findet (Zustimmung: 97,1 Prozent),
- ein Zeichen zu setzen gegen „postfaktisches Denken“ (Zustimmung: 95,9 Prozent),
- der Wunsch, dass Wissenschaft mehr Menschen außerhalb der Wissenschaft erreicht (Zustimmung: 93,8 Prozent) sowie
- populistischen Strömungen in unserer Gesellschaft entgegenzutreten (Zustimmung: 92,9 Prozent).
Demnach standen bei einer großen Mehrheit der Studienteilnehmer/innen zwar sehr wohl auch politische Motive im Vordergrund für die eigene Beteiligung am Marsch für die Wissenschaft, nicht jedoch eine dezidierte Kritik an der Trump-Administration. Denn noch davor rangieren Motive wie „Ich möchte meine Leidenschaft für Wissenschaft zum Ausdruck bringen“ (Zustimmung: 79,7 Prozent), „Ich habe Sorge, dass Wissenschaft bei künftigen Haushaltsplanungen weniger berücksichtigt wird als heute“ (Zustimmung: 77,1 Prozent) und „Ich möchte dem Stereotyp begegnen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltfremd sind“ (Zustimmung: 61,8 Prozent). Der Wunsch, dem „March for Science“ einfach als Event beizuwohnen, wurde hingegen lediglich von 30,3 Prozent der Befragten vorgebracht.
Den Befragungsteilnehmer/innen wurden außerdem fünf Aussagen vorgelegt, mittels derer generelle Einstellungen bzgl. Wissenschaftskommunikation erfasst wurden (siehe Diagramm 3). Die meiste Zustimmung („stimme zu“ und „stimme eher zu“) erhielten die Forderung, Wissenschaftler/innen sollten sich mehr für den Dialog mit der Öffentlichkeit engagieren (87,0 Prozent), sowie die Aussage, dass die Gesellschaft ein Anrecht darauf habe, dass durch öffentliche Gelder finanzierte Wissenschaftler/innen verständlich erklären, was sie tun (80,0 Prozent). Deutlich geringer fiel die Zustimmung aus für die Forderung, Wissenschaftler/innen sollten zu politischen Themen mehr Stellung beziehen (54,7 Prozent). Dieses Ergebnis ist insofern interessant, als dass die Befragten u. a. ja gerade aus dem Grund demonstrierten, dass Wissenschaft in Debatten und politischen Entscheidungen mehr Gehör finden möge. Dass Forschende persönlich zu politischen Themen stärker Stellung beziehen sollen, ist demgegenüber in der Stichprobe deutlich weniger mehrheitsfähig.
Der Gesellschaft einen Vertrauensverlust in die Wissenschaft oder Desinteresse zu attestieren, liegt für die befragten „March for Science“-Teilnehmer/innen ferner. Zwar sind auch zu diesen Aussagen die Zustimmungswerte immer noch deutlich höher als die Ablehnungswerte, rangieren aber mit 44,4 Prozent bzw. 40,9 Prozent niedriger.
Fazit
Die webbasierte, nicht-repräsentative Befragung zu den Motiven für die Teilnahme an den „Science Märschen“ am 22.04.2017 in Deutschland und Österreich liefert zumindest Anhaltspunkte dafür, dass – wie von den hiesigen Veranstaltern erhofft – nicht nur Angehörige des Wissenschaftssystems für die Belange der Wissenschaft demonstrierten, sowie dafür, dass eine dezidierte Kritik an der Politik der US-amerikanischen Regierung nicht ihr zentrales Motiv darstellte. Sehr wohl aber dürfte die Sorge die Menschen angetrieben haben, wissenschaftliche Evidenz könnte in gesellschaftlichen Debatten und bei politischen Entscheidungen nicht genügend beachtet werden. Für die Wissenschaft zu marschieren könnte demnach für viele Marsch-Teilnehmer/innen in erster Linie bedeutet haben, gegen „postfaktisches Denken“ sowie Populismus auf die Straße zu gehen.
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